Infobriefe

Infobrief Dezember 2019

17.01.2020

 „Das, wobei unsere Berechnungen versagen, nennen wir Zufall.“

Albert Einstein (1879-1955)

Liebe Mandanten, liebe Geschäftsfreunde,  

Karl Lagerfeld ist gestorben, ein Großbrand hat Notre-Dame in Paris zum Teil zerstört, und am Amazonas wird so viel Regenwald abgeholzt wie seit zehn Jahren nicht – das sind nur drei der vielen großen Schlagzeilen, die das Jahr 2019 bestimmten. Was wird uns 2020 bringen?  

Falls Sie das neue Jahr schwungvoll und mit reichlich Sekt begrüßen wollen, interessiert Sie möglicherweise besonders unser Infobrief-Beitrag über Veisalgia, besser bekannt als„Kater“. Der nämlich beschäftigte das Oberlandesgericht in Frankfurt am Main. Wie es dazu kommen konnte, erfahren Sie auf den folgenden Seiten.   

Außerdem geht es in diesem Infobrief um ein Arbeitszimmer, das fast nie benutzt wird. Kann man es trotzdem steuerlich geltend machen? Und wie sieht eigentlich die „ordnungsgemäße Buchhaltung“ aus? Und – da wir schonmal beim Thema sind – wie entlastend ist das neue Bürokratieentlastungsgesetz wirklich? All das verraten wir Ihnen in dieser Ausgabe.  

Wir wünschen Ihnen eine kurzweilige Lektüre. Kommen Sie gut ins neue Jahr!  

Ihr Team von Wagemann + Partner

1. Zeitnahe Handarbeit für die Digitalisierung

Die Digitalisierung des täglichen Lebens schreitet voran. In manchen Fällen ist die Entwicklung beängstigend und lästig, aber sie bietet auch Möglichkeiten, lästige nicht digitalisierte Vorgänge zu vereinfachen. Aus diesem Grund entschied sich Horst Schlaghorn für die digitale Lösung, als es um ein Fahrtenbuch zur Benutzung des Firmenwagens ging.

Schlaghorns Arbeitgeberin stattete im Jahr 2013 die Dienstwagen mit sogenannten Telematiklösungen aus, die auch die Funktion „elektronisches Fahrtenbuch“ enthielten. Die dafür ausgewählte Hardware musste nicht fest eingebaut werden. Vielmehr konnte sie auf den standardisierten Fahrzeug–Diagnosestecker aufgesteckt werden. Sie verfügte über einen GPS-Empfänger, der über das Mobilfunknetz die aktuelle Position des Fahrzeugs übermittelte. Diese Bewegungsdaten wurden auf einem zentralen Server zur Erstellung eines elektronischen Fahrtenbuches gespeichert.

Schlaghorn als Fahrer konnte dann später von zuhause aus über einen Online-Zugang die Daten abrufen und dem jeweiligen Fahrtzweck zuordnen. Die Zuordnungen blieben nach der Ersterfassung zunächst änderbar und wurden nach der Erfassung aller Daten abgeschlossen. Etwaige Abweichungen von mehr als 5% zwischen den selbst ermittelten Kilometern und dem tatsächlichen Kilometerstand des Fahrzeugs (wofür es viele technische Gründe geben kann) wurden den Privatfahrten zugeschlagen. Am Ende konnte dann das elektronisch geführte und ergänzte Fahrtenbuch in eine nicht veränderbare PDF-Datei übertragen werden.

Als bei der nächsten Lohnsteueraußenprüfung für die Jahre 2013 bis 2015 im späten Herbst des Jahres 2016 auch diese Fahrtenbuchlösung begutachtet wurde, fiel dem Prüfer schnell auf, dass der im Fahrtenbuch enthaltene Kilometerstand gar nicht den Kilometerständen laut Werkstattrechnungen entsprach. Die Differenzen summierten sich am Ende auf 10.162 Kilometer auf. Außerdem wunderte ich der Prüfer darüber, dass alle als Fahrtenbuch vorgelegten PDF-Dateien mit dem Datum 7. November 2016 bzw. 8. November 2016 versehen waren. Jedenfalls ist es nicht überraschend, dass dieses von Schlaghorn vorgelegte Fahrtenbuch schlicht und einfach vom Finanzamt verworfen und stattdessen die Werte entsprechend der sogenannten 1%-Methode verwendet wurden.

Diese Entwicklung tat Schlaghorn mit seinem schicken BMW 550i finanziell spürbar weh, und deshalb monierte er die Entscheidung des Finanzamtes beim zuständigen niedersächsischen Finanzgericht. Zur Begründung der Klage argumentierte Schlaghorn, dass die Abweichungen der Kilometerstände von den Werkstattrechnungen und die fehlende zeitnahe Generierung der PDF-Dateien nicht ausreichend wären, um seine Fahrtenbücher nicht anzuerkennen.

Mit dieser Sichtweise hatte Schlaghorn aber keinen Erfolg beim Finanzgericht. Sicherlich ist der Begriff des ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs gesetzlich nicht näher bestimmt. Doch Sinn und Zweck der Regelung zum Nachweis des zu versteuernden Privatanteils an der Gesamtfahrleistung ist eine Aufzeichnung der Daten, die eine Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit bietet und mit vertretbarem Aufwand auf ihre materielle Richtigkeit hin überprüft werden kann. Ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch muss zeitnah und in geschlossener Form geführt werden, um nachträgliche Einfügungen oder Änderungen auszuschließen oder als solche erkennbar zu machen. Hierfür hat es neben dem Datum und den Fahrtzielen auch den jeweils aufgesuchten Kunden oder Geschäftspartner oder – wenn ein solcher nicht vorhanden ist – den konkreten Gegenstand der dienstlichen Aufgaben darzustellen. Bloße Ortsangaben im Fahrtenbuch genügen allenfalls dann, wenn sich der aufgesuchte Kunde oder Geschäftspartner daraus zweifelsfrei gibt oder sich sein Name auf einfache Weise unter Zuhilfenahme von Unterlagen ermitteln lässt, die ihrerseits nicht mehr ergänzungsbedürftig sind.

Allein die unmittelbare elektronische Erfassung der Fahrtwege eines betrieblichen Fahrzeugs durch ein technisches System reicht somit zur Führung eines Fahrtenbuches nicht aus. Neben dem Bewegungsprofil müssen die Fahrtanlässe ebenfalls zeitnah erfasst werden. Eine technische Lösung, die auch nach Jahren noch Änderungen zulässt, kann schlicht und einfach nicht als elektronisches Fahrtenbuch anerkannt werden.

Diese Grundsätze unterscheiden sich nicht von den Grundsätzen in anderen Bereichen des steuerlichen Lebens. Bei der Kassenführung in bargeldintensiven Unternehmen beispielweise legt das Finanzamt die Hürden noch um einiges höher, damit sie als ordnungsgemäß akzeptiert wird.

2. Wer feiert, kann danach auch krank sein

Die Situation ist sicherlich gut bekannt und muss nicht gesondert illustriert werden: Die Kollegin oder der Kollege erscheint zur Arbeit in einem Zustand, bei dem man nicht lange und besorgt nach dem gesundheitlichen Befinden fragen muss. Es ist schnell erkennbar, dass das Vergnügen am Vortag ausgelassen und andauernd war. Somit hält sich das Mitleid in Grenzen, und der Rekonvaleszent wird mit einfühlsamer und direkter Ansprache aufgemuntert: „Wer feiern kann, der kann auch arbeiten!“.

Bei der Rechtsangelegenheit, mit der sich die Richter des Oberlandesgericht Frankfurt am Main zu beschäftigen hatten, ging es zwar nicht um einen Betroffenen, der sich durch die Gerichte jammern und klagen wollte, aber es ging um eine Werbeaussage, wonach ein Nahrungsergänzungsmittel geeignet wäre, einem Alkoholkater vorzubeugen bzw. seine Folgen zumindern. Die Gesellschaft FeiernTutNixGmbH vertreibt und bewirbt nämlich zwei Nahrungsergänzungsmittel unter dem Markennamen „two4all“, deren Verzehr einem Kater entgegenwirken soll.

Die Produkte sind in Form eines pulverförmigen Sticks („Drink“) und einer trinkfähigen Mischung („Shot“) erhältlich. Sie werden von der Firma FeiernTutNix umfangreich beworben, unter anderem mit den Aussagen: „Anti Hangover Drink“ bzw. „Anti Hangover Shot“, „Natürlich bei Kater“, „Mit unserem Anti-Hangover-Drink führst Du Deinem Körper natürliche, antioxidative Pflanzenextrakte, Elektrolyte und Vitamine zu“.

Diese Werbebotschaft führte allerdings auch bei Personen ohne Alkoholkonsum zu einem unangenehmen Aufstoßen, und so wurde die FeiernTutNixGmbH von einem Verein verklagt, der die gewerblichen Interessen seiner Mitglieder und dabei insbesondere die Achtung der Regeln des unlauteren Wettbewerbs als beeinträchtigt empfand.

Der Versuch, das Begehren des Aufpass-Vereins mit Hilfe der Gerichte zu kippen, hatte keinen Erfolg. Auf dem Weg zur Rechtsfindung kamen die Richter des Oberlandesgerichts zu dem Ergebnis, dass es sich bei einem „Kater“um eine Krankheit handelt. „Unter Krankheit ist jede, also auch eine geringfügige oder vorübergehende Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Tätigkeit des Körpers zu verstehen“, fasst das Oberlandesgericht zusammen und konkretisiert: „auch eine nur unerhebliche oder vorübergehende Störung der normalen Beschaffenheit, die geheilt, […] beseitigt oder gemindert werden kann und die nicht nur eine normale Schwankung der Leistungsfähigkeit darstellt, rechnet zum Begriff der Krankheit“. Symptomen wie Müdigkeit, Übelkeit und Kopfschmerz liegen nämlich außerhalb der natürlichen Schwankungsbreite des menschlichen Körpers. Sie treten nicht als Folge der natürlichen inneren Stimmungslage auf, sondern infolge des Konsums des schädlichen Alkohols.

Diejenigen Leserinnen und Leser, die sich bei nächster Gelegenheit über ihren Gesundheitszustand etwas gepflegter ausdrücken möchten, liefern wir an dieser Stelle den Hinweis, dass es auch einen medizinischen Fachbegriff für den „Kater“ gibt: „Veisalgia“.

3. Das sinnlose Arbeitszimmer

Hanny und Harald Petter sind stolze Eigentümer eines Einfamilienhauses. Hanny Petter ist in Vollzeit als Flugbegleiterin tätig, und für sie berücksichtigten die Eheleute Petter in ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2013 den maximal möglichen Betrag in Höhe von 1.250 Euro für ein 13,5 Quadratmeter großes Arbeitszimmer als Werbungskosten. In den folgenden Diskussionen mit dem Finanzamt waren sich beide Seiten einig, dass Hanny für ihre beruflichen Tätigkeiten kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht und dass das Arbeitszimmer selbst alle Anforderungen erfüllt, die man steuerlich von einem Arbeitszimmer verlangen kann. Trotzdem weigerte sich das Finanzamt, die erklärten Werbungskosten für das Arbeitszimmer im Steuerbescheid zu berücksichtigen. Die Behörde meinte, dass eine Stewardess kein eigenes Arbeitszimmer braucht. Diese Auffassung bezog sich so natürlich nicht auf die Person Hanny Petter, sondern viel mehr auf den möglichen zeitlichen Nutzungsumfang, denn Hanny war im Jahr 2013 inklusive der An- und Rückreisetage an genau 200 Tagen beruflich unterwegs.

Das Finanzgericht in Düsseldorf folgte der Sichtweise des Finanzamts zum Berufsbild einer Flugbegleiterin. Erst beim Bundesfinanzhof wurde die Sichtweise etwas objektiver. Die hohen Richter kamen bei ihrem Urteil zu dem Ergebnis, dass es rechtsfehlerhaft sei, den Abzug der Aufwendungen von der Erforderlichkeit des Arbeitszimmers abhängig zu machen. Darauf, dass Hanny Petter ihre Reisekostenabrechnungen auch am Küchentisch, im Esszimmer oder wo auch immer hätte erledigen können, kommt es gar nicht an. Das wichtigste ist, dass ein Arbeitszimmer wirklich ein Arbeitszimmer ist. Dann ist es quasi egal, ob es wirklich gebraucht wird.

4. Die Birke kann bleiben!

Die Freude über das eigene Grundstück ist selbstredend gebremst, wenn der Nachbar direkt an der Grundstücksgrenze ein Gebäude oder auch einfach nur eine Mauer errichtet. Um die Nachbarn nicht zu belästigen, muss mit den Bauwerken ein gewisser Abstand eingehalten werden, der – je nach Bundesland – bei mindestens 2,5 bis 3 Metern liegt.

Dieter Dörschli aus der Nähe des Städtchens Maulbronn fühlte sich aber außerordentlich von drei rund 18 Meter hohen, gesunden Birken belästigt, die in einem Abstand von mindestens 2 Metern hinter seinem Gartenzaun auf dem Grundstück seines Nachbarn Gregor Gäul ungezügelt vor sich hinwuchsen. Wegen der von den Birken ausgehenden Immissionen (Pollenflug, Herausfallender Samen und Früchte, Herabfallender leeren Zapfen sowie der Blätter und Birkenreiser) verlangte Dörschli von seinem Nachbarn die Entfernung der Bäume oder hilfsweise eine monatliche Zahlung von 230 Euro für die Zeit von Juni bis November eines jeden Jahres.

Für dieses Ansinnen hatte Gäul kein Verständnis, und so beschaffte sich der wütende Dörschli die notwendige Unterstützung zuerst beim zuständigen Amtsgericht und dann beim Landgericht Karlsruhe. Da die Richter des Landgerichts gegen Gäul und damit zum Nachteil der drei Birken urteilten, wurde schließlich auch der Bundesgerichtshof mit dieser Angelegenheit betraut.

Die hohen Richter des Bundesgerichtshofs beschlossen nun wiederum, die drei Birken leben zu lassen. Der genervte Dörschli hat nämlich nur dann einen Anspruch auf die Beseitigung der Bäume, wenn Gäul ein „Störer“ im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist. Um ein Störer zu sein, reicht es nicht aus, einfach nur ein Grundstück zu besitzen, sondern man braucht dafür jeweils Sachgründe, um dem Grundstückseigentümer die Verantwortung für das Geschehen aufzuerlegen. Wenn es um durch Naturereignisse ausgelöste Störungen geht, ist entscheidend, ob sich die Nutzung des Grundstücks, von dem die Beeinträchtigungen ausgehen, im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält.

Schon bei früheren Gelegenheiten mussten sich die Richter des Bundesgerichtshofs um Bäume in freier Wildbahn kümmern. Dabei wurde beispielsweise bei Umstürzen nicht erkennbar kranker Bäume infolge von Naturgewalten die Störereigenschaft verneint. Jedenfalls kann man von einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung ausgehen, wenn die für die Anpflanzung bestehenden landesrechtlichen Abstandsregelungen eingehalten wurden. Kommt es trotzdem zu natürlichen Immissionen auf dem Nachbargrundstück, ist möglicherweise das Wetter schuld; der Eigentümer des Grundstücks ist hierfür nicht verantwortlich.

5. Bürokratieentlastung 3.0

Natürlich will niemand eine überbordende Bürokratie. Aber irgendwie ist sie dann doch da. Niemand weiß, woher sie kam, und Schuld sind natürlich immer die anderen. Gleichwohl ist es der politische Wille aller politisch Beteiligten, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes von unnötiger Bürokratie zu entlasten.

In diesem Zusammenhang brachte der Gesetzgeber im Juli 2015 ein Artikelgesetz auf den Weg, das den Titel „Gesetz zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie “(kurz ausgedrückt „Bürokratieentlastungsgesetz“ und noch kürzer „BEG“) trug. Offenbar war diese Gesetzesinitiative nicht ganz unerfolgreich, denn im Juli 2017 wurde das zweite Bürokratieentlastungsgesetz („BEG II“) verkündet.

Nach den Rechenprinzipien der Bundesregierung wird allein mit diesen beiden Gesetzen und dem „Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts“   („Vergaberechtsmodernisierungsgesetz“, „VergRModG“) aus dem Jahr 2015 der Verwaltungsaufwand bei Unternehmen um knapp 2 Milliarden Euro Bürokratieaufwand entlastet. In diesem Zwei-Jahres-Rhythmus verbleibend, wurde vom Bundesrat am 11. November 2019 das dritte Bürokratieentlastungsgesetz („BEGIII“) verabschiedet. In der Gesetzesbegründung wird dem interessierten Leser vorgerechnet, dass durch diese dritte Version die Wirtschaft jährlich um rund 1.168 Millionen Euro entlastet wird, wovon allein rund 631 Millionen Euro auf Bürokratiekosten aus Informationspflichten entfallen. Der Verwaltung würden dagegen Mehrkosten in Höhe von etwa 146 Millionen Euro pro Jahr entstehen.

So viel zu den Lorbeeren. Von den tatsächlichen Inhalten sind die folgenden Regelungen wohl die mit der größten Relevanz:

  • Einführung einer elektronischen Arbeitsunfähigkeitsmeldung ab dem Jahr 2022,
  • Erleichterungen bei Vorhaltung von Datenverarbeitungssytemen für steuerliche Zwecke,
  • Option eines digitalen Meldescheins im Beherbergungsgewerbe,
  • Anhebung der umsatzsteuerlichen Kleinunternehmergrenze von 17.500 Euro auf 22.000 Euro,
  • Anhebung des steuerfreien Höchstbetrags von 500€ auf 600€ für betriebliche Gesundheitsförderung,
  • Zeitlich befristete Abschaffung der Verpflichtung zur monatlichen Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Neugründer ab dem Jahr 2021.

In der Zustimmung des Bundesrates zu dem Gesetz heißt es zusammenfassend: „Leider bleibt der Umfang der im BEG III erreichten Entlastungen noch deutlich hinter dem zurück, was im Interesse der Stärkung und der Wettbewerbsfähigkeit mittelständischer Wirtschaft wünschenswert wäre. Das Gesetz verzichtet auf einen großen Wurf und lässt die Chance auf deutlich spürbare Vereinfachungen verstreichen. Teilweise vollzieht es lediglich Entwicklungen nach, die sich im Zuge der Digitalisierung ergeben und verschafft Erleichterungen bei Bemessungsgrenzen, die wenig mehr als die Inflationsrate nachvollziehen.“

6. Unfallversicherung bei Probearbeit

Wenn ein Arbeitsuchender einen Arbeitgebenden gefunden hat und beide sich zunehmend ernsthaft mit der Idee auseinandersetzen, einen Anstellungsvertrag zu unterschreiben, dann ist ein „Probearbeitstag“ eine wunderbare Möglichkeit, um den Entscheidungsfindungsprozess voranzutreiben.

Das waren auch die Intentionen, als Rubeus Hartgriff seinem Ziel, eine Anstellung bei einem Entsorgungsunternehmen für Lebensmittelabfälle in Halle an der Saale zu erhalten, ein gutes Stück näher gekommen war. Das Entsorgungsunternehmen hatte die Erfahrung gemacht, dass manche Bewerber für eine solche Tätigkeit nicht geeignet waren bzw. eine solche Tätigkeit nicht ausführen wollten. Daher war man dazu übergegangen, Bewerber den Probetag im Rahmen eines „Einfühlungsverhältnisses“ anzubieten.

Möglicherweise war Hartgriff an seinem Probearbeitstag im September 2012 zu aufgeregt, jedenfalls sollte er Mülltonnen transportieren und stürzte dabei aus rund 2 Metern Höhe von der Laderampe eines Lkw. Die Erstdiagnose nach seiner harten Landung lautete: Schädel-Hirn-Trauma mit Verdacht auf Schädelbasis- und Orbitafraktur. Außerdem wurde bei Hartgriff eine anamnestische Lücke vom Vormittag des Unfalltages bis mehrere Wochen danach dokumentiert.

Aus der Frage, ob dieser böse Körperschaden von der gesetzlichen Unfallversicherung, also von den Leistungen der zuständigen Berufsgenossenschaft, abgedeckt sei, entwickelte sich ein juristischer Streit, der sich durch die Instanzen bis zum Bundesozialgericht zog.

In ihrem Urteil kamen die Richter des Bundesozialgerichts zu dem Ergebnis, dass ein Beschäftigungsverhältnis zwar nicht vorlag, weil Hartgriff noch nicht auf Dauer in den Betrieb des Entsorgungsunternehmers eingegliedert war. Da er aber eine dem Entsorgungsunternehmer dienende, dessen Willen und Interessen entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht hat, die einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis ähnlich ist, war Hartgriff als „Wie-Beschäftigter“ dann doch gesetzlich unfallversichert. Damit hatte er mit seinem Unfall zwar kein Glück, aber ist zumindest sozialversicherungsrechtlich etwas weicher gefallen.

7. Noch mehr Hick-Hack bei den Buchführungsgrundsätzen

Was in einem Gesetz steht, sollte klipp und klar und eindeutig sein. Gleichwohl sind in den Gesetzen hin und wieder Wörter zu finden, deren Inhalt und Bedeutung (scheinbar) unbestimmt sind und die eher vage oder mehrdeutig klingen. Ihnen wird erst durch den täglichen Gebrauch aller Beteiligten im Wirtschaftsverkehr Leben eingehaucht. Einer dieser unbestimmten Rechtsbegriffe ist beispielsweise die „ordnungsgemäße Buchhaltung“. Im täglichen Leben kann nicht klar ermittelt werden, was genau (noch) ordnungsgemäß ist und was nicht.

Aus diesem Grund hatten sich die Fachangestellten des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) mal wieder die Mühe gemacht, die „Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff“ (kurz und prägnant: GoBD) neu zu formulieren und diesen Text am 11. Juli 2019 veröffentlicht. Eigentlich sollten die GoBD ab 2020 in voller Pracht zum Einsatz kommen, aber aus irgendeinem Grund wurde beim BMF noch einmal ein erheblicher interner Abstimmungsbedarf angemeldet. Bereits am 18. Juli 2019 wurde der neue GoBD-Text wieder von der Homepage des BMF entfernt. Bis man sich getraut, mit einer überarbeiteten Version der GoBD ans Leselicht der Öffentlichkeit zu treten, müssen die noch gar nicht so alten Grundsätze aus dem November 2014 verwendet werden.

Bereits 2016 hatte der Gesetzgeber mit dem „Gesetz zum Schutz  vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen“ bestimmt, dass ab dem Jahr 2020 elektronische Kassensysteme mit einer zertifizierten technischen Sicherheitseinrichtung (TSE) ausgerüstet sein müssen. Diese TSE sollen fälschungssicher wirklich alles, was in die Registrierkasse eingetippt wird, protokollieren, diese Protokolle sicher mindestens 10 Jahre speichern und nicht zuletzt eine einheitliche digitale Schnittstelle zur Verfügung stellen, damit die Betriebsprüfer die Daten in einem standardisierten Format aus den Geräten auslesen können.

Trotz des eigentlich reichlich bemessenen zeitlichen Vorlaufs wurden von der Finanzverwaltung erst im August 2019 Schnittstellen für den Export von Daten aus elektronischen Aufzeichnungssystemen von der Finanzverwaltung veröffentlicht. Somit ist derzeit praktisch noch keine TSE am Markt verfügbar und eine flächendeckende Ausstattung aller geschätzt 2,1 Millionen Kassen in Deutschland bis 1. Januar 2020 objektiv nicht möglich. Die obersten Finanzbehörden von Bund und Ländern haben daraufhin beraten und beschlossen, dass das Fehlen der TSE bis zum 30. September 2020„ nicht zu beanstanden“ sei.

Eine weitere Verlängerung dieser Frist wird es sicherlich nicht geben. Deshalb ist unser Hinweis an alle Unternehmen, die derartige elektronische Systeme im Einsatz haben, jetzt gleich und unverzüglich den Kassenaufsteller ihrer Wahl auf dieses Thema anzusprechen.

Das verwendete elektronische Kassensystem mit TSE muss dann auch dem Finanzamt gemeldet werden – wobei der (dann hoffentlich elektronische) Vordruck für die Meldung leider noch nicht zur Verfügung steht.

8. „Nützliche Aufwendungen“ mit steuerschädlicher Wirkung

Kein Buchhalter käme auf die Idee, in einen Buchungstext das Wort „Bestechungsgeld“ aufzunehmen. Eher würde man Alternativen mit positive Klang verwenden, wie zum Beispiel „Nützliche Aufwendungen“. Ganz egal aber, wie das Kind genannt wird: Die Zahlung von Bestechungsgeldern ist kriminell, und deshalb besteht ein grundsätzliches Betriebsausgabenabzugsverbot.

Aber die Frage der Titulierung wirkt sich auch auf die Erörterung aus, wann genau die Grenze zum Bestechungsgeld überschritten ist. Im Einkommensteuergesetz ist geregelt, dass der Abzug der Betriebsausgaben beider Ermittlung der Steuern unterbleibt, wenn die Zuwendung der Vorteile eine rechtswidrige Handlung darstellt, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht.

Die Wieselei GmbH & Co. KG mit Arthur Wieselei als allgegenwärtigem Gesellschafter und Geschäftsführer war in den Jahren 2005 und 2006 auf dem Gebiet der Drucktechnik tätig. Im Rahmen einer Betriebsprüfung wurde festgestellt, dass Geschäftsbeziehungen zu mehreren Druckereien in Frankreich bestanden, mit denen wohl auch Preisabsprachen getätigt wurden. Konkret lieferte die Wieselei GmbH & Co. KG Offset-Druckplatten zum verhandelten Marktpreis, der um einen Zuschlag pro Quadratmeter erhöht wurde, wodurch deutlich überhöhte Preise in Rechnung gestellt wurden, die dann auch anstandslos beglichen wurden. Dieses „Up-Lift“ wurde dann an eine Aktiengesellschaft im schweizerischen Rechtsgebiet als „Provision“ gezahlt.

In der Buchführung der GmbH & Co. KG wurden die Zahlungen – für 2005 waren es 797.022 Euro und für 2006 193.742 Euro – fortlaufend mit „GraCo164“ verbucht. Grundlage dafür war ein Agenturvertrag, der seitens der AG von einem gelernten Koch unterschrieben worden war, also von einer Person, für die die Druckindustrie fachfremd war.

Als die Steuerfahndung zu „Hausbesuchen“ bei Wieselei vorbeikam, fand sie zu dem Vereinbarungen, die einen Eindruck davon vermittelten, wie 90% dieser Provisionen nach schweizerischer Besteuerung über ein Treuhandkonto verwendet wurden. Jedenfalls kamen die Betriebsprüfer zu dem Ergebnis, dass die Zahlungen an die AG nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig seien, weil die Begünstigten des Treuhandkontos nicht bekannt waren und weil die Zahlungen auch der Bestechung im geschäftlichen Verkehr im ausländischen Wettbewerb dienten.

Auch die Klage beim Niedersächsischen Finanzgericht hatte für Wieselei und seine KG keinen Erfolg. Und „eigentlich“ konnte Wieselei diesen Fall nur verlieren. Ein geschulter Blick in das Strafgesetzbuch verrät, dass derjenige zu bestrafen ist, der „im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs einem Angestellten oder Beauftragten eines geschäftlichen Betriebs einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er ihn oder einen anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen in unlauterer Weise bevorzuge.“

Natürlich muss die tatsächliche Strafbarkeit des Handelns für den besonderen Einzelfall höchst persönlich und im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten betrachtet werden, aber bei der hier sehr verkürzt erzählten Geschichte würde wohl kein Gericht der Welt zu einem anderen Ergebnis kommen.

9. Helmpflicht auch bei religiösen Widrigkeiten

In der Straßenverkehrsordnung gibt es die Vorschrift, dass der Verkehrsteilnehmer einen geeigneten Schutzhelm tragen muss, wenn er mit einem Moped, Motorrad, Quad oder einem anderen offenen, mit Kraft angetrieben und ohne Sicherheitsgurt ausgestatteten fahrbarem Untersatz mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von über 20km/h durch die Straßen fährt. Daher gibt es im Einzelhandel eine ausreichende Auswahl für eigentlich jede Kopfgröße und jeden Modegeschmack.

Ashutosh Singh jedoch fühlte sich durch diese Vorschrift in der Straßenverkehrsordnung in seinem verfassungsrechtlich verbrieften Recht zur freien Religionsausführung so sehr eingeschränkt, dass er im Juli 2013 bei der Stadt Konstanz eine Ausnahmegenehmigung beantragte, damit er von der Helmpflicht beim Motorradfahren befreit wird. Singh ist nämlich gläubiger Sikh und trägt einen Turban. Für den Sturzhelm aber müsste er den Turban absetzen.

Da die Stadt Konstanz Singhs Ansinnen rundheraus ablehnte, wurde über die Instanzen hinweg und tatsächlich mit wechselndem Erfolg bis zum Bundesverwaltungsgerichtshof geklagt. Solche Ausnahmegenehmigungen würde es nämlich nur aus gesundheitlichen Gründen geben – wobei man sich wohl die Frage stellen darf, wie man am Verkehr teilnehmen will, wenn man zu krank ist, um einen Helm zu tragen.

Die Richter des Bundesverwaltungsgerichtshofs räumten zwar ein, dass Singh durch das Tragen des Helms mittelbar in seiner Religionsausübung beeinträchtigt wird. Aber wenn er aus religiösen Gründen die als verbindlich empfundene Turban-Pflicht erfüllen will, muss er eben auf das Motorrad fahren verzichten. Die Helmpflicht soll nicht nur den Motorradfahrer selbst, sondern auch die körperliche und psychische Unversehrtheit anderer Unfallbeteiligter und der Rettungskräfte schützen. Sie können durch den Unfalltod oder durch den Eintritt schwerer Verletzungen bei einem nicht mit Schutzhelm gesicherten Motorradfahrer traumatisiert werden. Ein durch Helm geschützter Motorradfahrer wird zu dem bei einem Unfall eher in der Lage sein, zur Rettung anderer Personen beizutragen, etwa in dem er die Unfallstelle sichert, Ersthilfe leistet oder Rettungskräfte ruft. Ein Anspruch auf Befreiung von der Helmpflicht kann daher allenfalls bestehen, wenn dem Betroffenen der Verzicht auf das Motorradfahren aus besonderen Gründen nicht zugemutet werden kann. Anhaltspunkte hier für hat der Kläger, der über einen Pkw-Führerschein verfügt und einen Lieferwagen besitzt, nicht dargelegt.

10. C wie … Computer

In allen Bereichen des täglichen Lebens spielen Computer eine große Rolle. Gehören diese Geräte auch zum Beruf, stellt sich automatisch die Frage nach den ertragsteuerlichen Auswirkungen.

Wer einen Computer selbst kauft, um ihn – auch – beruflich zu nutzen, kann die Anschaffungskosten beider Steuerberechnung berücksichtigen, wenn ein paar entscheidende Voraussetzungen erfüllt sind. Bei einem Unternehmer (Gewerbetreibender, Freiberufler, Land- oder Forstwirt) können sogenannte Betriebsausgaben berücksichtigt werden, wenn der Computer dem Unternehmen zugeordnet wird und zu mindestens 10% seiner Computer-Lebenszeit auch wirklich für die beruflichen Zwecke genutzt wird.

Das gleiche gilt für alles, was gebraucht wird, um den Computer zu füttern: Internet, Software, Mobiltelefonanschluss, Anschlusskabel usw. Für alle anderen denkbaren Einkunftsarten könnten theoretisch auch die Ausgaben für den Computer beider Steuerberechnung eine Berücksichtigung finden, wobei diese dann als Werbungskosten tituliert werden.

Voraussetzung dafür, dass das Finanzamt damit einverstanden ist, ist die glaubhafte Vermittlung, dass der Computer überwiegend dafür genutzt wird oder zumindest unbedingt notwendig ist. So wird zum Beispiel bei Arbeitnehmern üblicherweise eine Arbeitgeberbescheinigung darüber angefordert, dass der Computer auch beruflich im Einsatz ist.

Ob immer die gesamten Computerkosten als Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten berücksichtigt werden können oder ob – und wenn ja, in welcher Höhe – die privaten Nutzungen aus dem Gesamtbetrag der Kosten herauszurechnen sind, ist ein gesondertes Thema, das den Rahmen unseres Steuer-ABC leider sprengen würde…

Die Alternative zum Selbstkauf ist natürlich die Variante, in der der Arbeitgeber seinem Mitarbeiter zusätzlich zu seinem Gehalt einen Computer ohne Bezahlung übereignet. In diesem Fall kann der Arbeitgeber eine pauschale Lohnsteuer in Höhe von 25% zahlen, womit die Angelegenheit komplett erledigt wäre. Rein praktisch wäre diese „Schenkung“ aber gar nicht notwendig. Der Computer mit seinem Zubehör aus dem Eigentum des Arbeitgebers kann dem Arbeitnehmer auch zur freien Verfügung überlassen werden, ohne, dass dieser Vorteil Lohnsteuer oder Sozialversicherungsbeiträge auslösen würde.