Infobrief März 2020
03.04.2020
„Bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer anderen Welt.“
Arthur Schopehauer (1788-1860)
Liebe Mandanten, liebe Geschäftsfreunde,
dreieinhalb Jahre währten die Debatten und Verhandlungen. Anfang des Jahres war es dann schließlich so weit: Großbritannien ist aus der Europäischen Union ausgetreten. Dass das zahlreiche und zum Teil schwerwiegende Konsequenzen hat, steht fest. Doch welche genau das sind, ist in vielen Bereichen noch recht unklar. Wie zum Beispiel wird künftig – ohne die Zahlen Großbritanniens – die Statistik zum Im-und Export innerhalb der EU aussehen? Dazu finden Sie einen Beitrag in diesem Infobrief.
Außerdem haben wir Wissenswertes zur umstrittenen Bonausgabepflicht für Sie zusammengestellt, und auch den skandalösen Cum-Ex-Geschäften und dem Vorgehen der Behörden widmen wir einen Artikel. Wollen Sie noch dazu wissen, was es mit der Dolo-agit-Regel aufsich hat? Die Antwort finden Sie auf den folgenden Seiten. Wir wünschen Ihnen eine informative und kurzweilige Lektüre. Ihr Team von Wagemann + Partner
1 Vorsteuerabzug bei Zahlung an Betrüger
Die Grundidee im Umsatzsteuerrecht besteht darin, dass für einen Vorgang dann Umsatzsteuer fällig werden könnte, wenn ein Unternehmer für eine andere Person tätig ist und dafür eine Vergütung erhält. Das nennt man schlicht und einfach Leistungsaustausch. Eine der bisher noch nicht klar beantworteten Fragen dieser Welt ist, was eigentlich passiert, wenn jemand Geld zahlt, um dafür etwas zu bekommen, und der andere, der eigentlich versprochen hatte, zu leisten, dies in Wirklichkeit nie vorhatte und womöglich auch gar nicht dazu in der Lage gewesen wäre.
Im Mittelpunkt der Rechtsfindung stehen zwei Herren, deren wirkliche Namen europaweit bekannt wurden. Der eine Herr, Achim Kollroß, wohnt im Landkreis Dachau, also in Bayern, und der andere Herr, Erich Wirtl, lebt in Göppingen, was zum Bundesland Baden-Württemberg gehört.
Beide bestellten im Jahr 2010 bei einer tatsächlich existierenden GmbH jeweils die Lieferung eines Blockheizkraftwerks (BHKW). Die GmbH reagierte mit dem Versand von jeweils zwei Vorschussrechnungen, die auch von beiden Kunden prompt gezahlt wurden. Der dokumentierte Plan der Herren war, das BHKW an einen Betreiber zu verpachten. Wenn alles nach Plan verlaufen wäre, dann wäre also mit den Pachtzahlungen auch Umsatzsteuer fakturiert worden, und für den Kauf des BHKW hätte man vom Finanzamt die volle Vorsteuer erstattet bekommen.
Die Realität sah dann allerdings anders aus, denn die Anlagen wurden nie geliefert, und über das Vermögen der GmbH wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und mangels Masse eingestellt. Die für die GmbH handelnden Personen wurden wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in 88 Fällen und wegen vorsätzlichen Bankrotts zu Lasten der Käufer der Blockheizkraftwerke strafrechtlich verurteilt. Um den Ärger auf die Spitze zu treiben, weigerten sich die jeweiligen Finanzämter, die Vorsteuer in Höhe von jeweils 5.700 Euro auf die verlorenen Anzahlungen auszuzahlen.
Beide Herren hatten bei ihren zuständigen Finanzgerichten den gewünschten Erfolg. So klar war die Angelegenheit – wie gesagt – aber nicht, und so trugen die Finanzämter die Fälle zum Bundesfinanzhof weiter. Da auch diese Richter Grundsatz fragen zum Umsatzsteuerrecht haben, wurde Rat beim Europäischen Gerichtshof eingeholt. Nachdem dieser dann im Mai 2018 eine Antwort gab, haben die Richter des Bundesfinanzhofs die Urteile zugunsten der beiden streitbaren Herren Kollroß und Wirtl ausgefertigt.
Die geforderten Anzahlungen für die bestellten BHKW wurden geleistet, und die Rechnungen waren ordnungsgemäß. Der Vorsteuerabzug ist dann gestrichen, wenn anhand objektiver Umstände erwiesen ist, dass der (Voraus- oder) Anzahlende zum Zeitpunkt der Zahlung wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass die Bewirkung der Lieferung oder Erbringung der Dienstleistung ungewiss ist. Irgendwie logisch sind dann auch die hohen Richter zu der Einsicht gelangt, dass davon auszugehen ist, dass sich Unternehmer nicht wissentlich betrügen lassen, zumal auch wirtschaftlich unvernünftige Entscheidungen immer wieder im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit getroffen werden.
Über das steuerliche Schicksal der anderen 86 verhinderten BHKW-Betreiber ist nichts bekannt. Es darf aber wohl angenommen werden, dass die meisten von ihnen die Urteile mit einem eher finsteren Lächeln zur Kenntnis genommen haben.
2 Bonausgabepflicht
Im Herbst 2017 wurde eine Gesetzesnorm mit folgender Titulierung auf den Weg gebracht: „Verordnung zur Bestimmung der technischen Anforderungen an elektronische Aufzeichnungs- und Sicherungssysteme im Geschäftsverkehr“. Da diese Bezeichnung im täglichen Leben viel zu sperrig ist, ist allgemein von der Kassensicherungsverordnung, kurz KassenSichV, die Rede.
Diese Verordnung präzisiert die Anforderungen der Abgabenordnung mit der Absicht, die Manipulationsmöglichkeiten bei Kassensystemen im bargeldintensiven Zahlungsverkehr weiter zu erschweren. In unserer letzten Infobrief-Ausgabe hatten wir bereits von einer Anordnung der Kassensicherungsverordnung berichtet. Da die Finanzverwaltung spät dran war mit der Bereitstellung der Schnittstellenbeschreibungen, wurde die verpflichtende Ausstattung der Kassensysteme mit sogenannten Technischen Sicherheits-Einrichtungen, kurz TSE, auf den 30. September 2020 verschoben.
Im Zuge der Kassensicherungsverordnung wurde auch eine Maßnahme festgelegt, die zum Jahreswechsel viele Proteste, insbesondere beim Bäckerhandwerk, hervorrief: die Bonausgabepflicht. Alle Akteure hatten drei Jahre Zeit, um sich ausführlich zu positionieren, aber getreu dem Motto von Coco Chanel, dass nichts fertig werden würde ohne die letzten fünf Minuten, kochten die Emotionen erst 2019 unter dem Weihnachtsbaum über.
Die Belegausgabepflicht schreibt vor, dass dem Kunden in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Geschäftsvorfall ein Beleg über den Geschäftsvorfall auszustellen und zur Verfügung zu stellen ist. Damit ist eindeutig, dass eine Pflicht zur Ausstellung des Kassenbons besteht und nicht zu der Frage, ob der Zettel wirklich gebraucht wird. Auf der anderen Seite besteht aber keine Belegmitnahmepflicht: Im Gegensatz zu gesetzlichen Regelungen in anderen Ländern der EU darf der Kunde den Beleg einfach auf dem Tresen liegen lassen.
Ist die Belegausgabepflicht sinnvoll? Um diese Frage zu beantworten, darf man den Gesamtzusammenhang nicht aus den Augen verlieren. Die Kassensysteme können den Beleg nämlich nur ausdrucken, nachdem das System innerhalb der TSE die Zahlung protokolliert hat. Der Beleg hat deshalb eine konservierende Wirkung für die Erlös-Erfassung. Durch die Einspeisung des entsprechenden Datensatzes in die TSE ist eine nachträgliche Manipulation des Kassensystems zur Umsatzverkürzung damit faktisch unmöglich. Aber natürlich könnte der Umsatz auch ohne Druck in der TSE landen, und so darf man gespannt sein, wie sich die Angelegenheit im positiven Sinne der Digitalisierung fortentwickelt.
Bei der emotionsreichen Diskussion, ob die Welt eine Belegausgabepflicht braucht, ist ein wenig aus dem Blickfeld geraten, was auf solch einem Zettel überhaupt stehen muss:
- vollständiger Name und Anschrift des leistenden Unternehmers
- Datum der Belegausstellung und Zeit
- Menge und/oder Art der Leistung
- Transaktionsnummer
- Entgelt und darauf entfallende Umsatzsteuer in einer Summe
- Seriennummer des elektronischen Aufzeichnungssystems oder Seriennummer des Sicherheitsmoduls
Jede Regel hat jedoch ihre Ausnahmen, oder? Es gibt – natürlich – zwei Alternativen zum Papier. Bei Bedarf und technischer Vorbereitung kann der Beleg in einem standardisierten Datenformat (etwa JPG, PNG oder PDF) zugestellt werden. Wenn ohnehin mit Hilfe des Mobiltelefons bezahlt wird, kann über diesen Weg auch der Bon überreicht werden. Handelsketten wie Lidl oder Metro haben dieses Prinzip schon heute umgesetzt.
Als zweite Alternative sieht die Kassensicherungsverordnung für besondere Härtefälle auch die Befreiung von der Belegausgabepflicht vor. Das Bundesfinanzministerium hat allerdings schon signalisiert, davon so gut wie keinen Gebrauch machen zu wollen. Gerade die Bäckerinnung hat wegen ihrer kleinzelligen Beträge um einen Dispens gebeten, der allerdings vom Bundesfinanzministerium direkt zurückgewiesen worden ist. Auch die Belegausgabekosten stellen keinen Befreiungsgrund dar.
Gibt es Sanktionen bei Verstößen gegen die Belegausgabepflicht? Nein. Das Gesetz sieht keine Strafen vor. Von offizieller Seite des Bundesfinanzministeriums heißt es, dass das so beabsichtigt gewesen sei. Andere sagen, man habe es schlicht vergessen. In der Praxis bleibt abzuwarten, ob nicht nachträglich doch noch eine Ordnungswidrigkeit in das Gesetz eingefügt wird.
3 Erfolgreicher Selbstbetrug
Innerhalb der Europäischen Union gibt man sich sehr viel Mühe, damit alles ordentlich erfasst wird. Jedes Land erfasst den Wert der innergemeinschaftlich exportierten sowie der importierten Waren. Nach den Gesetzen der Denkmechanik müsste dann eigentlich der Wert der Exporte identisch mit dem der Importe sein. Doch leider ist dem nicht so, denn die EU hat mit sich selbst einen Handelsüberschuss in Höhe von schlappen 307 Milliarden Euro. Dies entspricht knapp 2% des Bruttoinlandsprodukts der EU und ist mehr als das Bruttoinlandsprodukts der acht kleinsten EU-Mitglieder zusammen.
Messfehler allein können diese systematische Abweichung nicht erklären. Vielmehr scheint massiver Umsatzsteuerbetrug eine Ursache zu sein, der bei den EU-Staaten einen Schaden in Höhe von mindestens 30 Milliarden Euro pro Jahr verursacht. Am stärksten ins Gewicht fallen die statistischen Abweichungen in der Bilanz des Vereinigten Königreiches, was aber auch auf die dort praktizierte, bloß stichprobenmäßige Erfassung von Handelsdaten zurückgeht. Betrachtet man allein die Eurozone, sinkt der Überschuss im Jahr 2018 von 307 auf 126 Milliarden Euro. Geht man auch bei Länderpaaren, die Großbritannien umfassen, davon aus, dass die Bilanzabweichungen auf Steuerbetrug zurückzuführen sind, wurden in der EU schlappe 64 Milliarden Euro Steuern hinterzogen.
Das große Problem des Brexit ist für alle Beteiligten, dass niemand die genauen Konsequenzen kennt, die zu erwarten sind. Vielleicht finanziert sich der Brexit auf Seiten der EU allein durch die Wunder der Statistik.
4 Zusammen in den schlechten Zeiten
Die Ehe zwischen Hanny und Harald Petter aus Lahnstein war grandios, stürmisch, voll inniger Liebe … und kurz. Nach der Heirat im Jahr 2014 folgte im Juni 2016 die Trennung. Während des Zusammenlebens hatten die Ehegatten vereinbarungsgemäß Harald Petter wegen seines höheren Einkommens nach Steuerklasse III und Hanny Petter nach Steuerklasse V versteuern lassen. Die Wahl der Steuerklassen hat ja bekanntlich etwas damit zu tun, in welcher Höhe der jeweilige Arbeitgeber die Lohnsteuer einbehalten muss. Die Festsetzung der tatsächlich zu zahlenden Einkommensteuer – unter Anrechnung der zuvor einbehaltenen Lohnsteuer – bleibt der ordentlichen Einkommensteuerveranlagung vorbehalten.
Die getrennte Veranlagung der trennungswütigen Ehegatten zur Einkommensteuer führte dazu, dass Frau Petter praktisch keine Einkommensteuer und Herr Petter sehr viel zahlen musste. Und da durch Steuerklasse III zu wenig Lohnsteuer einbehalten wurde, musste Harald Petter Steuern nachzahlen. Bei einer Zusammenveranlagung wäre man dagegen bei etwa plus/minus null gelandet. Der Unterschied zwischen steuerlicher Eintracht und Trennung lag für das Jahr 2015 ganz konkret bei 2.499 Euro.
Da der Unterschiedsbetrag hier uneingeschränkt zu Lasten von Harald Petter ging, war er sehr an einer Zusammenveranlagung interessiert. Aber Hanny Petter wollte das nicht. Warum, ist an dieser Stelle ohne Bedeutung. Mangels notwendiger Erklärungen von Hanny wurde Harald entsprechend höher zur Steuerzahlung verpflichtet, und da er es damit nicht auf sich beruhen lassen wollte, verklagte er Hanny beim Familiengericht in Lahnstein.
Diese Instanz hatte eine Verpflichtung zur gemeinsamen Veranlagung für den Fall verneint, wenn der andere dadurch mehr Steuern zahlen muss. Zur Begründung griff das Gericht mit der sogenannten „Dolo-agit-Regel“ ganz tief in die Werkzeugkiste des römischen Rechts. Das Fachchinesisch bzw. -latein muss man hier übersetzen, denn die Dolo-agit-Regel ist nicht ausdrücklich im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt. Im angewandten deutschen Zivilrecht ist vom „Verbot der unzulässigen Rechtsausübung“ oder auch vom „Arglisteinwand“ die Rede. Jedenfalls besagt die Regel, dass arglistig handelt, wer eine Leistung einklagt, die er sogleich wieder zurückgeben müsste.
Das Urteil des Familiengerichts hat nicht nur Harald Petter nicht verstanden. Das daraufhin bemühte Oberlandesgerichts in Koblenz kam ebenfalls zu einem anderen Ergebnis: Ein Ehepartner ist auch nach der Trennung dem anderen gegenüber verpflichtet, in eine von diesem für die Zeit des Zusammenlebens gewünschte Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer einzuwilligen, wenn dadurch dessen Steuerschuld verringert wird und der auf Zustimmung in Anspruch genommene Ehepartner keiner zusätzlichen steuerlichen Belastung ausgesetzt ist. Ehepartner sind nämlich einander grundsätzlich verpflichtet, die finanziellen Lasten des anderen nach Möglichkeit zu vermindern, soweit dies ohne eine Verletzung eigener Interessen möglich ist. Andererseits kann Harald Petter von seiner Ex-Frau wegen des Scheiterns der Ehe nicht den gesamten Mehrbetrag verlangen, denn auch in dieser Richtung liegt die Auffassung zugrunde, dass mit dem Einkommen der Ehepartner gemeinsam gewirtschaftet und finanzielle Mehrbelastungen ausgeglichen werden.
Sicherlich ist es für die eigene Psychohygiene wichtig, dass solch ein Rosenkrieg nach einer gescheiterten Beziehung ordentlich zelebriert wird. Hier, bei den Eheleuten Petter, ging es allein für das Veranlagungsjahr 2015 um den bereits erwähnten Betrag von 2.499 Euro. Bei einer Einigung hätten beide mit dem Geld, statt es grundlos dem Fiskus zu überlassen, mit ihren jeweils neuen Partnern einen schönen Urlaub machen können, und mit den eingesparten Gerichts- und Rechtsanwaltskosten wäre sicherlich auch noch Vollpension möglich gewesen. Dazu hätte man einfach miteinander reden müssen.
5 Ab jetzt: Cum-nix
Wie und warum man auf solche Ideen kommt, ist eigentlich egal. Wenn man damit Geld verdienen kann, wird es eben auch so umgesetzt. Jedenfalls hatten Personen, die im Ausland sitzen, beschlossen, ihre deutschen Aktien kurz vor dem Dividendenstichtag an ein deutsches Kreditinstitut zu verleihen. Die Bank hat dann ordnungsgemäß die Dividende kassiert, und die Aktien wieder an den Eigentümer im Ausland unter Bezahlung der Leihgebühr in Höhe von 95% der Bruttodividende zurückgegeben. Am Ende hat sich die deutsche Bank die deutsche Kapitalertragsteuer vom Finanzamt erstatten lassen, weil sie das darf.
Da dieses Modell mit Aktien und mit einem Anspruch auf Dividendenausschüttung (also: „Cum-Cum“) offenbar zu langweilig war, wurde durch Leerverkäufe auf die Dividendenausschüttung verzichtet („Cum-Ex“): Die deutschen Aktien wurden verkauft, aber erst zu einem späteren Termin geliefert. In der Zwischenzeit haben sich die Beteiligten durch Scheintransaktionen fleißig Bescheinigungen für Kapitalertragsteuern auf Dividendenerlöse ausgestellt, die so gar nicht gezahlt wurden. Gleichwohl machten sie diese mehrfach beim Fiskus geltend.
Der Schaden für den Bundeshaushalt ist riesig, das Gezeter groß, und bei der Frage nach der Schuld zeigt natürlich einer auf den anderen. Beim Geschäftsmodell Cum-Cum könnte man sicherlich noch wohlmeinend zu dem Ergebnis kommen, dass damit nur die bestehende Rechtslage angewendet wurde und somit (noch) alles rechtens war. Dagegen ist aber die Einschätzung für das Cum-Ex-Modell eindeutig: Das ist kriminell. Doch auch hier weisen die Beschuldigten alles von sich.
So fällt der zornige Blick der Steuerzahler auch auf die Finanzverwaltung. Die aber jammerte, dass man ja etwas unternommen hätte, wenn man doch nur geahnt hätte, was da lief. Leider lässt sich konkret belegen, dass lange – also eigentlich viel zu lange – wissend zugeschaut worden war.
Gleichwohl folgen nun die Konsequenzen: Die Europäische Kommission hat am 21. Juni 2017 per Richtlinie den verpflichtenden automatischen Informationsaustausch bei grenzüberschreitenden Modellen beschlossen. Die Umsetzung dieser Richtlinie erfolgte auch in Deutschland, und so bestehen ab dem 1. Juli 2020 Meldepflichten für bestimmte, grenzüberschreitende Steuergestaltungsmodelle mit dem Stichtag 25. Juni 2019. Die sogenannten Intermediäre – dies sind im Wesentlichen Kreditinstitute, Steuerberater, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer – werden damit verpflichtet, Informationen über offenzulegende Modelle, die sie konzipiert, organisiert oder verkauft haben, dem Bundeszentralamt für Steuern zu melden. In Fällen, in denen sich ein Intermediär auf ein berufsrechtliches Verschwiegenheitsrecht beruft oder kein Intermediär vorhanden ist, geht die Verpflichtung zur Mitteilung auf den Nutzer der Steuergestaltung selbst über.
Was genau eine meldepflichtige Steuergestaltung sein soll, ist weder in der Richtlinie noch im deutschen Gesetzestext beschrieben. Vielmehr sollen die Steueraktivitäten anhand einer Vielzahl von definierten Merkmalen („hallmarks“) identifiziert werden. Und wenn dann auch noch der „main benefit test“ positiv ist, dann soll und muss wirklich gemeldet werden. Der ist positiv (*sic*), wenn der Hauptvorteil eines Modells bei Berücksichtigung aller relevanten Fakten und Umstände die Erlangung eines Steuervorteils ist. Wichtig ist noch der folgende Aspekt aus dem alltäglichen Leben eines durchschnittlichen Steuerzahlers: Zusätzlich werden Gestaltungen erfasst, die eine Anwendung des OECD Common Reporting Standards zum Finanzkonteninformationsaustausch zu umgehen versuchen oder den wirtschaftlich Berechtigten (benefical owner) verschleiern sollen.
Denjenigen, die diese Rechtsentwicklung ebenfalls eher unappetitlich finden und sich überlegen, ob es noch schlimmer werden könne, kann getrost mit „Ja!“ geantwortet werden. Es existiert bereits ein Gesetzesentwurf für die Anzeigepflicht von nationalen Steuergestaltungen.
6 Kein Recht durch jahrelange Übung
„Das haben wir schon immer so gemacht!“ Den Satz kennt man, und er kann sowohl Grund dafür sein, so weiterzumachen wie bisher, als auch dafür, künftig alles anders zu machen. In diesem Beitrag möchten wir Ihnen, liebe Leserinnen und liebe Leser, von einem Fall berichten, bei dem es darum ging, ob das, was in der Vergangenheit war, wichtig für die Zukunft ist.
Familie Wieselei besitzt in Aachen drei Grundstücke nebeneinander. Alle drei sind mit Häusern bebaut, die zur Straße hin direkt an der Grundstücksgrenze stehen. Im rückwärtigen Teil der drei Grundstücke befinden sich Garagen, deren baurechtlicher Status sich mit einem Wort beschreiben lässt: Schwarzbau.
Das ist aber nicht das einzige Problem mit den Garagen, denn um mit einem Auto bis zu den Garagen fahren zu können, muss man praktisch außen herumfahren, weil eben vorne die Häuser im Wege stehen.
Damit kommt bei dieser Geschichte auch noch Helga Havelpaff ins Spiel. Sie nämlich ist die Eigentümerin des Grundstücks, auf dem sich der Weg befindet, über den die Wieseleis ihre Garagen erreichen konnten. Eine Nutzung des Weges wurde seit Jahrzehnten durch frühere Eigentümer des Grundstücks und dann auch durch Havelpaff selbst stillschweigend geduldet. Da Frau Havelpaff irgendwann andere Ideen zur Verwendung des Grundstücks hatte, teilte sie den Wieseleis freundlich mit, dass mit Wirkung zum 31. Dezember 2016 der Weg versperrt wird. Den Ankündigungen folgten auch bald Taten in Form einer Toranlage. Nicht ganz überraschend protestierten die Wieseleis gegen diese Entwicklung und pochten zunächst beim Landgericht in Aachen auf ein zu ihren Gunsten bestehendes Wegerecht und verlangten von Havelpaff, die Sperrung des Weges zu unterlassen.
Tatsächlich hatten die Wieseleis mit ihrem Ansinnen beim Landgericht Erfolg. Und auch das Oberlandesgericht in Köln urteilte zugunsten der Wieseleis mit der Begründung eines angeblich bestehenden Gewohnheitsrechts zur Nutzung des Zuwegs. Erst beim Bundesgerichtshof endete diese Gedankenwelt und das Oberlandesgericht bekam den Fall wieder zurückgeschoben, um die Angelegenheit neu zu verhandeln.
Im Gegensatz zu den Meinungen der Richterkollegen in den beiden ersten Instanzen kamen die Richter des Bundesgerichtshofs zu dem Ergebnis, dass sich die Wieseleis nicht auf ein Gewohnheitsrecht berufen können. Ein Gewohnheitsrecht entsteht nämlich durch längere tatsächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist und von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird. Als ungeschriebenes Recht enthält es eine generell-abstrakte Regelung und muss über den Einzelfall hinausweisen. Das Gewohnheitsrecht muss zwar kein „Jedermann-Recht“ sein, aber ein Gewohnheitsrecht kann als dem Gesetz gleichwertige Rechtsquelle allgemeiner Art nur zwischen einer Vielzahl von Rechtsindividuen und in Bezug auf eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen entstehen, nicht aber beschränkt auf ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn. In einem konkreten Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn kann ein Wegerecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch außerhalb des Grundbuchs nur aufgrund schuldrechtlicher Vereinbarung oder als sogenanntes „Notwegrecht“ entstehen, nicht aber durch eine – sei es auch jahrzehntelange – Übung unter Grundstücksnachbarn.
Die Aufgabe für das Oberlandesgericht besteht nun darin, sich noch einmal Gedanken darüber zu machen, ob die Lösung mit dem Notwegrecht in Frage kommt. Soweit die Grundstücke nur zu Wohnzwecken genutzt werden, wird ein Notwegrecht allerdings schon deshalb ausscheiden, weil die Garagen schlicht und einfach Schwarzbauten sind. Soweit die Grundstücke gewerblich genutzt werden, kann das mit dem Notwegrecht dagegen funktionieren, da bei einem Gewerbegrundstück etwa Be- und Entladevorgänge sowie das Abstellen von Kraftfahrzeugen auf dem verbindungslosen Grundstücksteil für die ordnungsmäßige Benutzung erforderlich ist.
Passend zum Umweg der Autos zu den Garagen, musste sich auch das Recht einen langen Weg suchen, um zu einem nachvollziehbaren Ergebnis zu kommen. Andernfalls könnte man die Nachbarn ausgerechnet mit einem Schwarzbau dazu zwingen, einen Fahrweg offen zu lassen, obwohl man auf dem eigenen Grundstück selbst dazu nicht in der Lage war
7 Ohne Wissen und Glaube
Petra Porskopf beantwortete die berühmte Gretchenfrage, wie sie es mit der Religion hält, stets mit „Nööö“. Das liegt einfach daran, dass sie von ihren Eltern nicht religiös erzogen worden war und auch nach ihrer Volljährigkeit und elterlichen Unabhängigkeit keinen Weg zu einem Gott gefunden hatte. Umso überraschter war sie, als sie im September 2011 – und damit im zarten Alter von 58 Jahren – vom Finanzamt Prenzlauer Berg einen Fragebogen übersandt bekam, weil ihr kirchensteuerlicher Status angeblich unklar wäre.
Nach bestem Wissen und Gewissen füllte Porskopf den Fragebogen aus und gab an, dass sie nicht getauft worden sei und auch als Kind praktisch nie eine Kirche von innen gesehen habe. Außerdem teilte Porskopf die geforderten Namen sowie den Wohnort ihrer unterdessen verstorbenen Eltern zum Zeitpunkt ihrer Geburt mit.
Ein halbes Jahr später, im März 2012, bekam Porskopf wieder Post, diesmal von der Kirchensteuerstelle Berlin. Auf diesem Informationskanal erfuhr Porskopf, dass sie im Juni 1953 in Bitterfeld evangelisch getauft worden war und dass die Kirchenverwaltung in ihren Akten keinen Hinweis darauf finden könne, dass sie irgendwann einmal aus der Kirche ausgetreten sei.
Petra Porskopf hatte dazu natürlich erst recht keine Aktenlage. Aus Erzählungen wusste sie, dass die Eltern irgendwann zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik aus der Kirche ausgetreten waren und da sie selbst damals minderjährig war, war sie dadurch im Zweifel mitausgetreten. Dieser Argumentation konnte sich die Berliner Kirchensteuerstelle nicht anschließen und pochte darauf, dass (auch) nach den Gesetzen der DDR der Kirchenaustritt der Eltern, der übrigens für die Jahre 1956 und 1958 amtlich dokumentiert ist, nicht automatisch den Kirchenaustritt religionsunmündiger Kinder bewirkt hätte. Dieser sei vielmehr ausdrücklich von den Erziehungsberechtigten mit zu erklären gewesen und habe von der Austrittsbehörde protokolliert werden müssen. Bis zum Nachweis über einen erklärten Kirchenaustritt müsse Porskopf somit als Mitglied der evangelischen Kirche geführt werden.
Die praktische Bedeutung für diese nicht geglaubte Kirchenmitgliedschaft war die Festsetzung von Kirchensteuern für jedes offene Einkommensteuer-Veranlagungsjahr mit einem Betrag von jeweils knapp 1.000 Euro. Erst im November 2014 fand Petra Porskopf den Weg zum Amtsgericht Mitte, um dort ihren Austritt aus der evangelischen Kirche zu erklären.
Für den damit unvermeidlichen Rechtsweg ist nicht – wie man meinen könnte – die Finanz-, sondern die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig. Aus diesem Grunde muss auch gegen die grundsätzliche Erhebung der Kirchensteuer ein Widerspruch bei der Kirchenverwaltung (Konsistorium) und kein Einspruch beim Finanzamt eingelegt werden. Wenn das nicht erfolgreich ist, dann ist für die Klage auch nicht das Finanzgericht, sondern das Verwaltungsgericht zuständig. Somit hatte dann auch das Verwaltungsgericht Berlin zu entscheiden, ob die Erhebung der Kirchensteuer bei Petra Porskopf mit den bundesdeutschen Gesetzen vereinbar ist.
Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass Porskopf keinen Grund zum Klagen hatte. Die Begründung: Für einen Kirchenaustritt unmittelbar durch Erklärung von Frau Porskopf gegenüber kirchlichen Stellen waren keine Anhaltspunkte vorhanden. Die Tatsache, dass Porskopf aber auch nie eine Erklärung oder Handlung zugunsten einer Mitgliedschaft getätigt hat und ganz objektiv gar nicht wissen konnte, dass sie Mitglied der evangelischen Kirche ist und damit auch nicht auf die Idee kommen konnte, den Austritt zu erklären, war nicht hilfreich für das Ansinnen von Frau Porskopf.
8 Das doppelte Flottchen
Arthur Wieselei erhielt im Sommer 2018 einen Brief von der Polizei. Sein Motorrad war „geblitzt“ worden, als es die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 33 km/h überschritt. Auf dem obligatorischen Radarfoto war allerdings das Gesicht des Fahrers durch den Motorradhelm nicht gut zu erkennen. Im natürlich unvermeidlichen Bußgeldverfahren teilte Wieselei der Behörde nun mit, dass gar nicht er der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen sei, sondern einer seiner beiden Söhne. Einer der Zwillinge Georg oder Fred Wieselei sei zur fraglichen Zeit mit dem Motorrad durch die Landschaft gefahren. Im Übrigen machte Vater Arthur von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.
Die Bußgeldstelle stellte daraufhin das Verfahren ein, allerdings wurde Wieselei Senior dazu verdonnert, für 15 Monate ein Fahrtenbuch zu führen. Das gefiel Arthur Wieselei überhaupt nicht. Eine Geldbuße hätte er einfach an seine Söhne weitergegeben, aber ein Fahrtenbuch bedeutete Arbeit für ihn selbst. Also folgten Widerspruch und Klage. Die Zwillinge Fred und Georg hätten vorher wenigstens befragt werden müssen.
Das Verwaltungsgericht Koblenz kam bei seiner Rechtsbetrachtung tatsächlich zu dem Ergebnis, dass die Bußgeldbehörde das Verfahren zugunsten der Fahrtenbuch-Strafe nicht vorschnell hätte einstellen dürfen. Mit den beiden Zwillingen war die Liste der Verdächtigen schließlich sehr überschaubar, und man hätte wenigstens mal den Versuch einer Befragung unternehmen können. Es ist nicht ausgeschlossen, dass einer der beiden Söhne bei einer solchen Befragung den Verkehrsverstoß eingeräumt hätte. Außerdem kann man zwar bei „geblitzten“ Zweirädern durch den Helm das Gesicht des Fahrers schlechter erkennen als bei einem Autofahrer, aber dafür ist der Rest – also Körpergröße und Kleidung – umso sichtbarer.
Das Ordnungsamt hätte sich einfach nur mal ein bisschen Mühe geben müssen.
9 D wie … Dienstreise
Was ist eine Reise? Natürlich eine Ortsveränderung. Und eine Dienstreise ist die Zeit, in der ein Arbeitnehmer oder Unternehmer aus beruflichen Gründen nicht zu Hause oder bei seiner regelmäßigen und ersten Arbeitsstätte anzutreffen ist.
Die Gründe für eine Auswärtstätigkeit können vielfältig sein. Für einen Arbeitnehmer lässt sich wohl sehr pauschal sagen, dass eine Dienstreise „eigentlich“ immer dann vorliegt, wenn die Fahrt von Chefin oder Chef angeordnet worden ist und der Arbeitgeber mit der Verschickung ein überwiegend betriebliches Interesse verfolgt. Die kleine Einschränkung „eigentlich“ bezieht sich auf die Fälle, bei denen ein Belobigungscharakter der Reise nicht wegdiskutiert werden kann. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das Ambiente der Unterbringung eher Genuss verspricht und das dafür zu absolvierende Arbeitspensum zeitlich in den Hintergrund rückt. Darüber hinaus liegt für einen Arbeitnehmer natürlich auch dann eine Dienstreise vor, wenn er auf eigenen Entschluss hin eine Fortbildung antritt.
Die selbständigen Unternehmer haben leider das Problem, dass sie von niemandem per Weisung geschickt werden können. Doch natürlich ist es auch bei ihnen eine Dienstreise, wenn sie sich aus überwiegend betrieblichen Gründen zum Reisen entschließen.
Sind die Voraussetzungen für den Status einer Dienstreise erfüllt, können die dadurch entstandenen und nicht steuerfrei erstatteten Kosten bei der Berechnung der Einkünfte als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben abgezogen werden. Vom Grundsatz der ausschließlichen Berücksichtigung von tatsächlichen und per Beleg nachgewiesenen Kosten gibt es aber Ausnahmen:
Die erste und sicherlich bekannteste Ausnahme ist die Berücksichtigung der Verpflegungsmehraufwendungen, also der bekannte Ansatz in Höhe von 12 Euro für angebrochene und 24 Euro für ganze Tage, die in Deutschland verbracht werden. Für den Einsatz im Ausland hat die Verwaltung für jedes Land dieser Erde und im Einzelfall auch für einzelne Städte gesonderte Pauschbeträge ermittelt und festgelegt.
Die zweite Ausnahme soll zu einer Vereinfachung bei der Verwendung privater fahrbarer Untersätze führen. Entweder man addiert alle angefallenen Kosten und bricht sie dann mit dem kalkulatorischen Wertverlust für das Fahrzeug auf alle gerollten Kilometer herunter (z.B. über ein gesamtes Kalenderjahr hinweg) oder man verwendet einfach die Pauschbeträge für jeden zurückgelegten Kilometer in Höhe von 30 Cent für die Benutzung eines Pkw oder von 20 Cent für ein motorisiertes Zweirad. Mit diesen pauschalen Sätzen ist dann allerdings bis auf wirklich außergewöhnliche Kosten (Unfall oder Diebstahl während der Dienstreise) alles abgegolten. Für den finanzamtsgerechten Nachweis der abgelegten Kilometer muss kein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch geführt werden, wie es zur Abwehr der 1-Prozent-Methode notwendig ist, sondern die Strecken müssen „einfach“ zeitnah und nachvollziehbar dokumentiert werden.
Für Übernachtungskosten im Ausland gibt es ebenfalls konkrete Pauschbeträge. Diese gelten allerdings nicht für die Berufsgruppe, die dafür besonders dankbar wäre: Berufskraftfahrer. Ganz neu ab dem Jahr 2020 können diese Personen allerdings für jeden Tag „on the road“ 8 Euro ansetzen, anstatt die Toiletten- und Duschmarken zu sammeln und aufzulisten.