2. September 2024
Höhe der Aussetzungszinsen möglicherweise verfassungswidrig
Der VIII. Senat des
Bundesfinanzhofes (BFH) hält die derzeitige Regelung zur Höhe der
Aussetzungszinsen für verfassungswidrig. Da das Gericht nicht selbst über die
Verfassungswidrigkeit einer Norm entscheiden kann, hat der BFH das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Klärung der Rechtsfrage angerufen. Im
konkreten Fall geht es um den Aussetzungszinssatz in Höhe von 0,5 %, der für
den Zeitraum vom 1.1.2019 bis zum
15.4.2021 erhoben
wurde.
Hintergrund: Einspruch
und Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, d.h.
die Erhebung einer Abgabe wird nicht aufgehalten und der Steuerpflichtige muss
die festgesetzte Steuer zunächst zahlen. Die aufschiebende Wirkung von
Einspruch und Klage kann aber in einem summarischen Verfahren
auf Antrag bei ernstlichen Zweifeln an der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids von Finanzamt oder Finanzgericht
gesondert durch die Aussetzung der Vollziehung (AdV) angeordnet werden. Für den
Steuerpflichtigen bedeutet das einerseits, dass er die Steuer zunächst nicht
zahlen muss. Andererseits droht ihm eine Belastung mit Zinsen, wenn sein
Rechtsmittel endgültig ohne Erfolg bleibt und er die Steuer
„nachträglich“ zahlen muss. Er hat dann nämlich für die Dauer der
AdV und in Höhe des ausgesetzten Steuerbetrags Zinsen in Höhe von 0,5 % pro
Monat, also 6 % pro Jahr zu entrichten (sog.
Aussetzungszinsen).
Für
Nachzahlungszinsen, die bei einer
Nachzahlung grundsätzlich anfallen, beträgt der Zinssatz für
Verzinsungszeiträume seit dem
1.1.2019 0,15 %
pro Monat (= 1,8 % jährlich) und für Verzinsungszeiträume bis zum
31.12.2018 0,5 %
pro Monat (= 6 % jährlich); die Senkung ab
1.1.2019 ist
Folge einer Entscheidung des BVerfG, das den Zinssatz von 6 % für
Nachzahlungszinsen für Zeiträume ab dem
1.1.2019 als
verfassungswidrig angesehen hat.
Sachverhalt: Der Kläger
hatte seinen Einkommensteuerbescheid 2012 angefochten. Dessen Vollziehung
setzte das Finanzamt auf Antrag des Klägers aus. Die Klage war erfolglos.
Aussetzungszinsen von 0,5 % wurden für 78 Monate festgesetzt, u.a. für den
Zeitraum von 1.1.2019 bis zum
15.4.2021. Der
Kläger wandte sich gegen die Zinsfestsetzung, in erster Instanz ohne
Erfolg.
Entscheidung: Die Richter
BFH dagegen halten den Zinssatz im Zeitraum vom
1.1.2019 bis zum
15.4.2021 für
verfassungswidrig:
-
Der Zinssatz von 0,5 %
monatlich verstößt gegen den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Denn er ist
für Zeiträume ab dem 1.1.2019 deutlich höher als der Liquiditätsvorteil, der
sich für den Steuerpflichtigen aufgrund der Aussetzung der Vollziehung ergibt.
Spätestens seit 1.1.2019 bestand eine Niedrigzinsphase, in der der
Liquiditätsvorteil des Steuerpflichtigen entsprechend niedrig ausfiel und
geringer als 0,5 % monatlich war. -
Es besteht eine
nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung
zwischen Steuerpflichtigen, die eine Aussetzung der Vollziehung (AdV) in
Anspruch nehmen und solchen, die den streitigen Steuerbetrag direkt leisten.
Auch führt der Zinssatz von 0,5 % monatlich zu einer Ungleichbehandlung
gegenüber Steuerpflichtigen, die für Verzinsungszeiträume ab dem
1.1.2019
Nachzahlungszinsen entrichten mussten, deren
Zinssatz lediglich 0,15 % monatlich beträgt. -
Darüber hinaus haben
Steuerpflichtige in der Regel keinen Einfluss auf die Dauer des Verfahrens und
damit auch nicht auf die Höhe der Aussetzungszinsen.
Hinweis: Erfahrungsgemäß
ziehen sich Verfahren vor dem BVerfG über Jahre hin. Bis zu einer Entscheidung
kann gegen Zinsbescheide, die Aussetzungszinsen für Zeiträume ab 2019
betreffen, Einspruch eingelegt und das Ruhen des Verfahrens beantragt
werden.
Der Zinssatz von 6 % gilt auch für
Hinterziehungszinsen und Stundungszinsen, so dass sich eine Entscheidung des
BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit der Aussetzungszinsen mittelbar auch auf
den Zinssatz für Hinterziehungszinsen und Stundungszinsen auswirken
könnte.
Quelle:
BFH, Beschluss vom 8.5. 2024 –
VIII R 9/23; NWB
Anmerkung: Nachricht am
3.9.2024 u.a. um
weitere Entscheidungsgründe ergänzt.